Ein neues Seminarzentrum wird die Frauenarbeit von ECLAT beflügeln.
Die Rolle der Frauen bei den Massai
In der Volksgruppe der Massai leben die Frauen in völliger Abhängigkeit von ihren Männern auf deren Gehöft („Boma“). Die Bomas liegen meist weit auseinander, so dass die Frauen kaum Gelegenheit haben, sich mit anderen Frauen auszutauschen. Da die allermeisten von ihnen keine Schulbildung genossen haben und es für sie auch keine Möglichkeiten gibt, um an Informationen zu gelangen, leben sie ein sehr isoliertes Leben. Frauen haben bei den Massai praktisch keine eigenen Rechte. Sie werden als Jugendliche verheiratet und müssen dann für sich und ihre Kinder sorgen. Sie sind von ihren Männern abhängig, die zumeist mit mehreren Frauen verheiratet sind.
Frauenarbeit von ECLAT
Die Arbeit unserer Partnerorganisation ECLAT zur Stärkung der Frauen in der Massai-Gesellschaft ist für die Kultur dieser Volksgruppe von grundlegender Bedeutung. Philomena Kiroya, Leiterin der Frauenarbeit von ECLAT, ist selbst eine Massai. Sie initiiert, koordiniert und betreut seit Jahren die Frauengruppen im Distrikt. Solche Frauengruppen sind für die traditionelle Massai-Gesellschaft ungewöhnlich. Inzwischen haben sich 75 Gruppen mit je 30 Frauen gebildet (insgesamt gehören also über 2.000 Frauen dazu). Jede Gruppe ist offiziell staatlich registriert. In einer Gesellschaft, in der Frauen keinen eigenen Besitz haben und ihre Männer um Erlaubnis fragen müssen, um sich mit anderen Frauen treffen zu dürfen, ist das alles andere als selbstverständlich. Die hohe Zahl von Frauengruppen zeigt die Bedeutung, die die Frauen diesen Gruppen zumessen – und wie hoch ihre Erwartungen sind. Philomena besucht und betreut die Gruppen in ihren Dörfern. Dabei tauschen sich die Frauen über die Verwendung der ihnen gewährten finanziellen Unterstützung aus (s.u.), aber auch über Fragen der Gesundheit, Hygiene, häuslicher Gewalt, Familienplanung und auch der Bedeutung von Schulbildung.„Mikrokredite“ für Frauengruppen
In der Regel haben die Massai-Frauen kaum eigenen Besitz. Sie müssen sich zur Heirat ein eigenes Haus bauen, für das sie zu sorgen haben und in dem sie später mit ihren Kindern leben. Das Vieh des Ehemannes deckt ihren täglichen Bedarf und den ihrer Kinder. Eigenes Geld, und sei es, um kleine Dinge des täglichen Bedarfs, z.B. Seife, zu kaufen, besitzen sie kaum. So ist ein weiteres Ziel der Frauenarbeit von ECLAT, dass Frauen finanziell unabhängiger von ihren Ehemännern werden. Dabei geht es um kleine Beträge, die sie persönlich für sich und ihre Kinder verwenden können. Etwa 45 Gruppen wurde bereits ein Startkapital von je ca. 850 Euro zur Verfügung gestellt. Die Frauen entscheiden gemeinsam, wie das Geld investiert wird, und kaufen z.B. mehrere Kälber. Die Frauengruppe versorgt gemeinsam die Kälber, bis die ausgewachsenen Rinder verkauft werden können. So erwirtschaften die Frauen einen Betrag, über den sie dann zu einem gewissen Teil selbst verfügen können. Jährlich erhalten weitere 10 bis 12 Gruppen ein solches Startkapital: in wenigen Jahren werden alle Gruppen eine solche Unterstützung erhalten haben.
Veränderungen nicht ohne die Männer
Die Veränderungen im Selbstbewusstsein der Frauen und ihrer gesellschaftlichen Stellung betreffen aber auch die Männer. ECLAT achtet sorgsam darauf, dass die Männer sich nicht hintergangen fühlen, sondern mitbekommen, was in den Frauengruppen besprochen wird, welche Erfahrungen die Frauen mit ihrem Geld machen und dass sie sich auch zum Thema Kinder und Erziehung austauschen. Natürlich gab es auch Fälle, in denen ECLAT im Gespräch mit Stammesältesten Konflikte mit den Männern klären musste; eine Aufgabe, die Toima Kiroya, dem Leiter von ECLAT nicht schwerfällt, schließlich ist er ein gebildeter Massai, der sich für seine Volksgruppe einsetzt und Erfahrungen in der politischen Leitung hat.
Bau eines Seminarzentrums
ECLAT hat in den letzten Monaten in Emboreet ein Seminarzentrum für die Frauengruppen gebaut, um die Frauenförderung weiter zu intensivieren. Bisher kamen die Frauen nur gelegentlich und für wenige Stunden irgendwo im Dorf zusammen, und bei ihren Gesprächen ging es überwiegend um die ihnen gewährte finanzielle Unterstützung und welche Erfahrungen sie damit gemacht hatten. In dem neuen, einfachen Seminarzentrum können bereits in den nächsten Wochen die jeweils 30 Frauen einer Gruppe für ein paar Tage aus ihrem Alltag heraustreten und zusammenkommen. Die Seminare sollen unter Leitung von ausgebildeten Seminarleiterinnen 4 bis 5 Tage dauern. Der Zeitraum für die Seminare ist so bemessen, dass die Frauen ihre Kinder in dieser Zeit im Kreis der Großfamilie oder bei den anderen Frauen ihrer Männer unterbringen und so am Seminar teilnehmen können. Sie sollen sich in diesen Tagen ungestört innerhalb der Gruppe austauschen können. Durch gemeinsame Arbeiten wie das Kochen wird der Zusammenhalt der Gruppe gefestigt.Auswirkungen des Seminarzentrums
Das Seminarzentrum wird zu einer Anlaufstelle für die Frauen und ihre Gruppen werden und diesen Teil der Arbeit von ECLAT massiv unterstützen. Im Zentrum werden die Frauengruppen statt stundenweiser gelegentlicher Beratung intensiv über mehrere Tage von Fachkräften geschult werden. Dies wird ihr Selbstbewusstsein weiter stärken und ihnen dazu verhelfen, ihr wirtschaftliches Handeln zu erweitern und zu verbessern. Sie werden durch die Seminare direkt und indirekt auf den Wert von Bildung hingewiesen und daher auch mehr als bisher darauf achten, dass ihre Kinder, vor allem die Mädchen, auch wirklich zur Schule gehen. Die Analphabetenrate wird zurückgehen. Die Seminare im von Kindern und Männern abgeschirmten Rahmen bieten auch die Möglichkeit für Gespräche über Familienplanung. Auch wenn Geburtenregelung nicht ohne die Männer möglich ist, ist dies ein erster Schritt, um das Thema in die Massai-Gesellschaft hineinzutragen.
Das Seminarzentrum wird die Massai-Kultur in starkem Maße beeinflussen. Bisher werden den Frauen nur wenig Rechte zugestanden, und die Bevölkerungszahl verdoppelt sich in weniger als 18 Jahren. Die gestärkte Rolle der Frauen im Vergleich zu vorher und im Verhältnis zu den Männern wird maßgeblich zu einem vermehrten wirtschaftlichen Handeln, einer besseren Bildung von Frauen und Mädchen und zu einem Geburtenrückgang führen. Diese Änderungen werden die Lebenssituation der Massai-Gesellschaft substantiell verändern und ihnen aus ihrer Armut und Rückständigkeit heraushelfen. Ein wichtiger Entwicklungsschritt, denn die Volksgruppe der Massai ist zurzeit durch Rückständigkeit, Analphabetentum, Populationswachstum und Überweidung der Steppe bedroht.Fotos:
(1) Rüdiger Fessel (Oktober 2014)
(2) Bakiri Angalia (Juni 2017)