Von Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau ist bei den Massai noch keine Rede – ein tansanisches Ehepaar will das künftig ändern.
„Jetzt lernt ihr das echte Afrika kennen“, sagt unser Fahrer, grinst und lenkt den Geländewagen kurz hinter der Großstadt Arusha im Norden Tansanias nach links von der Asphaltstraße auf einen Schotterweg – der Staub und das Geholper werden bis zur Rückreise zu unseren dauerhaften Begleitern. Aber dass die Straßen nur noch wenig mit dem zu tun haben, was wir Mitteleuropäer unter dem Begriff verstehen, das ist nur der kleinste Teil dieser Erfahrung des „echten Afrika“. Im Oktober, in der Trockenzeit, gleißt die Sonne vom tiefblauen Himmel, die Temperaturen erreichen 30 Grad und mehr. Das Gras, das die rote Erde bedeckt hat, ist abgefressen, nicht nur der Boden, auch die Luft ist staubtrocken. Flussläufe sind nur zu erahnen, selbst die großen Seen in der Gegend führen nur noch wenig Wasser. Die Savanne bietet kaum Schatten. Unter den wenigen, kahlen Bäumen stehen Rinder und Ziegen. Begleitet werden sie von ihren Hirten, den Massai, unseren Gastgebern.
Toima Kiroya und seine Frau Philomena sind so traditionsbewusste wie moderne Massai, die ihre Gäste herzlich empfangen – besonders Sören Hartmann. Der CEO der DER Touristik ist im Dorf Emboreet, weil sein Unternehmen die Kiroyas unterstützt – und weil die Eröffnung des wohl ambitioniertesten Projekts ansteht: ein Seminarzentrum nur für die Massai-Frauen.
Frauenförderung ist eines der Kernanliegen der ECLAT Foundation, die die Kiroyas vor gut zehn Jahren gegründet haben, mit dem klaren Ziel, die Lebensbedingungen in ihrer Heimat nachhaltig zu verbessern. Die vier Hauptaspekte erklärt Toima: Neben der Frauenarbeit sind das Bildung, besserer Zugang zu Trinkwasser und bessere Gesundheitsversorgung in der dünn besiedelten Gegend. Hier leben immer noch viele Familien in weit voneinander entfernten Bomas, den traditionellen Runddörfern, die von Dornenhecken umzäunt sind. Die Kinder haben Schulwege von bis zu zwölf Kilometern, die Frauen nehmen, um an einem der wenigen Brunnen Wasser zu holen, ähnliche Strecken auf sich. Und die Männer ziehen von Kindesbeinen an mit den Viehherden durch die Savanne, auf der Suche nach Futter und Wasser für die Tiere. Das echte Afrika, es ist nicht immer nur idyllisch.
Bei offiziellen Anlässen sind die Sitzplätze normalerweise nur für Männer reserviert
Der Besitz von Rindern ist die Grundlage des Lebens der Massai: Schon seit Jahrhunderten sind sie Viehhirten, früher als Nomaden, in jüngster Vergangenheit immer öfter auch sesshaft. Auch die Kiroyas sind, was diesen Aspekt angeht, klassische Massai, sie besitzen 300 Rinder. Eines läuft an diesem Morgen äußerst übellaunig über den Hof, verfolgt von mehreren Männern. Kurz danach fragt Toima, ob jemand mit zur Schlachtung kommen möchte. Wir lehnen dankend ab: Die Hausschlachtung ist ein Teil des echten Afrika, den wir Mitteleuropäer nicht so gern miterleben möchten.
Die gut 500 Gäste, die zur Eröffnung des Seminarzentrums gekommen sind, teilweise aus bis zu 60 Kilometer entfernten Dörfern, stören sich an derlei Kleinigkeiten weniger. Für sie ist etwas anderes ungewöhnlich: Bei offiziellen Anlässen sind die Sitzplätze normalerweise für Männer reserviert, die Frauen müssen stehen. Doch nicht an diesem Tag. Da sitzen Philomenas Frauengruppen in den ersten Reihen, die Herren der Schöpfung scheinen teilweise nicht vollständig überzeugt von dieser Neuerung.
Für noch mehr Unmut – aber auch für den größten Applaus – sorgt der Ehrengast bei der Eröffnung. Er sagt: „Die tansanischen Männer behandeln ihre Frauen ungerecht. Doch am ungerechtesten behandeln die Massai-Männer ihre Frauen.“ Der Redner ist hoch angesehen, ehemaliger Botschafter Tansanias in Nigeria – und selbst ein Massai. Die Frauen klatschen stürmisch, aber auch die Männer, speziell die jüngeren, applaudieren.
Die Frauen sollen finanziell unabhängiger werden
Das echte Afrika, es steht an diesem Tag im Zeichen des Wandels, des Umdenkens – wie radikal, sieht man, wenn man sich die bisherige Rolle der Frauen vor Augen führt. Bei den Massai leben sie oft in völliger Abhängigkeit von ihren Männern, werden bereits im Jugendalter verheiratet, haben keine Schulbildung, kaum eigenen Besitz und zumeist keine Möglichkeit, sich mit anderen Frauen auszutauschen.
Philomena arbeitet seit Jahren daran, das zu ändern. Zuerst mit der Einrichtung von lokalen Gesprächs- und Beratungsgruppen (inzwischen sind rund 2000 Frauen in diesen Gruppen organisiert) und nun auch mit dem Seminarzentrum. Dort treffen sich die Frauen nicht nur für wenige Stunden, sondern für mehrere Tage, um sich zu Themen wie Familienplanung und Problemen des täglichen Lebens auszutauschen.
Darüber hinaus erhält jede Gruppe einen Geldbetrag von etwa 850 Euro, über dessen Verwendung sie gemeinsam entscheidet. So soll die auch finanzielle Abhängigkeit von den Männern zumindest teilweise überwunden werden. Das Zentrum wurde aus Mitteln der Bundesregierung und einer Spende der DER Touristik finanziert, verwaltet und betrieben wird es von der Stiftung der Kiroyas.
Erzürnte Ehemänner mussten zunächst beruhigt werden
Wie viel ihnen das Zentrum bedeutet, sieht man am Umgang der Massai-Frauen mit Philomena: Die 50-Jährige, die das Glück hatte, in ihrer Kindheit zur Schule gehen zu dürfen, wird immer wieder aufgehalten, Frauen fallen ihr um den Arm, sprechen lang und eindringlich mit ihr. Gerade am Anfang sei es schwierig gewesen, die Männer von der Notwendigkeit der Frauengruppen zu überzeugen, erzählt sie, als etwas Ruhe eingekehrt ist. Doch inzwischen haben sich viele Männer daran gewöhnt, dass es sie gibt, dass die Frauen einen Teil ihres Lebens nicht mit ihren Ehemännern teilen – auch wenn es teilweise des Einschreitens von Toima und den Dorfältesten bedurfte, um erzürnte Ehemänner zu beruhigen.
Zwar sieht man noch die Löcher in Toimas Ohren, die die Ohrringe hinterlassen haben, und die ringförmigen Narben unter den Augen, die ebenfalls zum kulturellen Erbe des Stammes gehören. Und Philomena trägt die Roben und zu Feiern wie der Eröffnung des Frauen-Seminarzentrums auch traditionellen Schmuck. Doch sind die beiden nicht nur Massai. Sie sind auch – im besten Sinn des Wortes – Entwicklungshelfer. Sie leben vor, wie das Leben als Massai im 21. Jahrhundert funktionieren kann. Ihre vier Kinder sind gut gebildet, der Älteste macht gerade seinen Master in Business Administration, der Jüngste spricht mit zwölf Jahren schon drei Sprachen. Und dass die ältere der beiden Töchter einen Mann geheiratet hat, der kein Massai ist, haben Philomena und Toima ebenfalls akzeptiert – obwohl es schwerfiel.
Seine Karriere als Politiker merkt man dem 56-jährigen Toima an. Bei der Eröffnung renovierter Schulgebäude einige Kilometer von seinem Dorf entfernt spricht er frei, versiert und mit viel Engagement. Sein ältester Sohn übersetzt für die Gäste aus dem Massai ins Englische. Er redet über die Bedeutung von Bildung, darüber, wie stolz er auf die Schüler ist, die hier zur Schule gehen, und ermahnt sie, fleißig zu sein.
Als Toima District Commissioner im Süden des Landes war, lernte er Fred Heimbach kennen, einen Deutschen, der bereits seit 20 Jahren Entwicklungsprojekte in Tansania betreut. Heute sind Heimbach und der in Deutschland gegründete Verein Upendo wichtigstes Bindeglied zwischen den Massai und Unternehmen wie DER, die sich vor Ort engagieren und dabei sicherstellen wollen, dass ihr Geld gut investiert wird.
Die langfristige Perspektive ist noch nicht weit verbreitet
Die langfristige Perspektive der Kiroyas, sie ist nicht weit verbreitet bei den Massai, und genau das wollen sie durch Bildung ändern: Ihr erstes Projekt war eine Sekundarschule, „weil es in weitem Umkreis keine gab“, wie Toima sagt. Diese hat inzwischen gut 600 Schüler, nach den von ECLAT angeschobenen Renovierungen mehrerer Primarschulen gehen auch dort mehr Jungen und Mädchen zur Schule. Neben dem regulären Unterricht bekommen sie Informationen über Naturschutz und das Zusammenleben von Menschen und Wildtieren. Dafür sorgt eine andere Organisation: Die PAMS Foundation ist in erster Linie im Kampf gegen Wilderer aktiv, setzt aber durch ihre Arbeit in Schulen auch auf Prävention. „In Harmonie mit der Natur leben“ heißt der Kurs, den die Tierschützer anbieten und der dafür sorgen soll, dass sie in Elefanten und anderen Tieren keine Konkurrenten im Kampf um Ressourcen sehen – oder gar die schnelle Möglichkeit, durch Wilderei an viel Geld zu kommen. Sie sollen sie vielmehr als erhaltenswerte Teile eines Ökosystems ansehen.
Am Ende der Reise nach Tansania, als wir wieder auf der Asphaltstraße, auf dem Weg nach Hause sind, steht die Erkenntnis: Das echte Afrika, es steht hier, bei den Massai, vor einem Paradigmenwechsel. Ausgehend von einem engagierten Ehepaar, das sich mit dem Status quo nicht abfinden mochte und beschloss, etwas zum Besseren zu ändern.
(Die Reise erfolgte mit Unterstützung durch DER Touristik.)